Süddeutsche Zeitung macht sich Gedanken
In der Wochenendausgabe der "Süddeutschen Zeitung" vom 11.03.2023 hat sich die Redaktion Gedanken über die Nutzung von Matten als Alternative zum fehlenden Schnee gemacht. In einem langen Interview konnte der Skitrax World GF Wolfgang Schmidt darlegen, daß diese Alternative grundsätzlich einen positiven Einfluss auf das Erlernen und Betreiben des Skifahrens hat.
Denn es rumort an der Basis des alpinen Wintersports. 4000 Skiclubs in Deutschland sehen ein sinkendes Interesse am alpinen Skisport. Die Zahl der Aktiven im Jugend Rennlauf sinkt rapide. Skischulen klagen über fehlende Kinder für Anfängerschulungen. Es fehlt an der Breite. Die Gründe sind am Schneemangel in den etablierten Skigebieten zu sehen, an den hohen Kosten für die Anreise zu den Skigebieten und der negativen CO2 Bilanz bei der langen Anreise aus dem Norden in die Alpen. Dazu fällt das Gletschertraining aus, da die meisten Gletscher vom Frühjahr bis Herbst geschlossen haben.
Immer weniger Menschen wollen das Skifahren erlernen. Wie soll der Abwärtstrend gestoppt werden? Die Alternative ist vorhanden - sie muss nur kreativ genutzt werden!
Zum Artikel in der Ausgabe "Sport am Wochenende" (11.3.2023) gibt es noch eine sehr informative Online Ausgabe:
Ski auf Matten und Kunststoff: Welche Alternativen gibt es für Schnee? - SZ.de (sueddeutsche.de)
Textauszug: Süddeutsche Zeitung, Wochenendausgabe: 11.03.2023
Schnee von morgen
„Bald wird es auch in den Alpen an vielen Orten zu warm sein, um im Winter die Pisten künstlich zu beschneien. Und dann? Alternativen sind schon im Einsatz: Über das Skifahren auf Bürsten, Wellen und Spaghetti aus Plastik
VON KORBINIAN EISENBERGER
Der Schnee von gestern war schon wieder deutlich weniger geworden, und so trafen sie im Skigebiet Hocheck bei Oberaudorf eine Entscheidung. Weil nur noch ein gräulicher Rest Altschnee auf der Skipiste zu finden war, starteten sie ein Pilotprojekt: Die Liftbetreiber ließen den Hang Ende Januar mit Ersatzschnee bedecken. Genauer: mit einer bürstenartigen Konstruktion aus Plastik, 80 mal acht Meter breit.
Aber wollen die Menschen darauf auch Ski fahren?
Die Oberaudorfer sind so etwas wie Pioniere einer neuen Kunstbewegung. Die Kunst besteht darin, Schnee zu erzeugen, ohne Kanonen zu bemühen. In den Alpen ist das Prozedere mit Plastikmatten noch nicht sonderlich verbreitet, Alternativschnee wird man dort nur sehr schwer finden. Der
„Erlebnisberg Oberaudorf-Hocheck“ im Inntal hat es nun als erstes Skigebiet in Bayern ausprobiert.
Pistenraupen brauchte es dafür nicht, den Hang in Oberaudorf präparierte ein Mann, der sich seit 15 Jahren mit Alternativschnee beschäftigt. Wolfgang Schmidt ist in Oberaudorf zu Hause und hat dort eine Firma gegründet, die inzwischen für fünf Kontinente Plastik-Skipisten liefert. In Santiago de Chile fahren Menschen nun Ski auf Matten aus Oberaudorf, in Mumbai auch; in Coorg, Südindien, ist eine größere Installation im Bau. Eine der kleinsten liegt seit kurzem in Sichtweite des Firmengeländes von Skitrax.
Wolfgang Schmidt ist Geschäftsführer der Firma und damit ihr oberster Verkäufer. Er ist aber auch staatlich geprüfter Skilehrer, der Vater des einstigen Skicross-Weltcupfahrers Florian Schmidt – und Ski-Enthusiast, seit er denken kann. Am liebsten wäre es ihm, er hätte sich nie über Plastikschnee Gedanken machen müssen. Aber es kam halt,wie es kam.
Der 67-Jährige kennt die Zugspitze noch, als dort im Winter fünf Meter Schnee lagen. Jetzt ist es vielleicht noch einer. Im französischen Courchevel, wo unlängst die Weltmeisterschaft der Alpinen stattfand, betrat er das Skihotel einst durch den ersten Stock, so hoch türmten sich die Schneeberge. Und jetzt? „Bei der WM haben sie dort komplett beschneit“, sagt er. „Die Südhänge waren alle grün.“
Diese Entwicklung nahm Schmidt 2008 zum Anlass, sich mit künstlichem Schnee auseinanderzusetzen.
Wenn es um die Produktion von Alternativschnee geht, zählt Schmidts Firma zu den weltweiten Playern. Tausende Quadratmeter Matten von Skitrax sind aus Oberaudorf in die Welt geliefert worden, sie liegen nicht nur in Indien und Chile, auch in den USA, Neuseeland, Australien, Großbritannien und den Niederlanden. Sein bis dato umfangreichstes Projekt stellte Schmidt – noch vor Beginn des russischen Angriffskriegs – in der Ukraine fertig. In Lemberg liegt seither das mit 19 000 Quadratmetern größte Matten-Skigebiet der Welt. In einem Reklamevideo des Skiresorts „Emily“ ist zu sehen, wie am Swimmingpool im Tal Cocktails geschlürft werden, während im Hintergrund Erwachsene und Kinder eine 600 Meter lange, grüne Abfahrt hinunter kurven. Es wirkt wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Film.
Aber genau so läuft dort, im Westen der Ukraine, der Betrieb. Trotz des Kriegs sind derzeit Gäste dort.
Es gibt größere Probleme als das von Skifahrern, die keinen natürlichen Schnee mehr finden. Und doch zeigt sich in dieser Sportart mit am deutlichsten, welche Folgen die globale Erwärmung hat, für Skitouristen, Liftbetreiber, Hoteliers – und für die professionelle Wintersport-Szene. Die Biathleten konnten ihren Weltcup-Kalender mit Ach und Krach durchziehen, es boten sich aber groteske Bilder; wie durch ein Wunder gelang es den Loipenbauern von Ruhpolding, ein weißes Band in die grüne Landschaft zu modellieren. Die Alpin-Athleten sind inzwischen Absagen gewohnt, in dieser Saison wurden wegen Schneemangels sämtliche Weltcup-Rennen in Zermatt-Cervinia (Schweiz) und Lech-Zürs (Österreich) gestrichen. Und die Skispringer landeten in Wisla (Polen) erstmals bei einem Winter-Weltcup auf grünem Kunststoff.
Einst konnte man sich in all diesen Regionen im Winter vor Schnee kaum retten, nun kommen bisweilen Frühlingsgefühle auf. Über Wochen war es deutlich zu warm, um an Kunstschneeherstellung auch nur zu denken. Also: Kunstschnee aus gefrorenem Wasser. Im Inntal war das auch zu spüren. Trotzdem sah man in Oberaudorf zuletzt regelmäßig Skigruppen den Hang hinabfahren. Carven ist dort nicht möglich, schwingen schon. „Das Fahrgefühl ist schon anders als auf Schnee“, sagt Hannes Rechenauer von den Oberaudorfer Bergbahnen. Aber wenigstens ist es überhaupt ein Fahrgefühl.
Rechenauer hatte zuletzt einen merklichen Rückgang an jungen Skifahrern festgestellt, etwa unter den Schülern, die aus München mit der Regionalbahn nach Oberaudorf kommen. Vor 20 Jahren, sagt er, da konnte etwa die Hälfte einer Klasse Skifahren. „Jetzt sind es bei 30 Kindern vielleicht noch sieben oder acht.“ Ohne Schneesicherheit kein Skilager. „Dann sagen die Lehrer, sie gehen lieber in den Tierpark.“
Schneesicherheit kann in den Alpen so leicht keiner mehr bieten. Rechenauer bietet nun immerhin Fahrsicherheit. Deutlich mehr als die Hälfte der CO₂-Emissionen beim Skifahren entstehen durch die immer längere Anreise per Auto, etwa Richtung Gletschergebiete. Für viele Menschen ist auch das ein Thema. Rechenauer jedenfalls hat nun offenbar mehr Zulauf, als er es selbst erwartete. „Ich bin überrascht, wie gut die Leute das angenommen haben“, sagt er. „Kinder und Anfänger sehen es als gute Alternative.“
In Bayern ist das Ganze eine Premiere. In England und den Niederlanden wird indes seit Jahrzehnten auf Ersatzschnee gelernt und geübt. Prominentestes Beispiel für so einen alternativen Karrierebeginn ist der Brite Dave Ryding. Bis zu seinem zwölftem Lebensjahr trainierte und startete der Slalomspezialist ausschließlich auf Mattenpisten, ehe er erstmals bei einem Rennen auf Schnee an den Start ging. Inzwischen ist Ryding 36 Jahre alt und darf sich Weltcup-Sieger nennen; 2022 gewann er den Slalom-Klassiker von Kitzbühel, der natürlich auf Schnee ausgetragen wird. Noch?
In Österreich wurde durchaus aufgeregt über das Oberaudorfer Projekt berichtet, Alternativschnee hatte dort bisher, wenn überhaupt, beim Lifteinstieg einen Platz, oder vereinzelt auf schwer beschneibaren Schleppliftspuren. In den Alpenregionen tut man sich generell schwer mit dem Gedanken, künstliche Pisten mit Skiern zu befahren. Im Ski-Land Bayern ohnehin. Die Bayerische Zugspitzbahn erklärt, man habe bis dato noch nie über Matten nachgedacht. „Wir sehen das nicht als Alternative zum Schnee.“ Auch der Verband Deutscher Seilbahnen sieht keinen Trend: „Das eigentliche Wintergeschäft ist das Skifahren auf Schnee, draußen in der Natur, an der frischen Luft und vor einem Bergpanorama.“
Spricht man Profis im alpinen Skizirkus auf Alternativen für ihr dahinschmelzendes Weiß an, reagieren sie meist wie Romed Baumann bei einem Kamingespräch während des Ski-Weltcups im Dezember in Gröden. Rennen auf Matten? Schon mal probiert? „Nein, absolut nicht“, erklärte der Österreicher, der für den Deutschen Skiverband (DSV) startet. Einmal sei er eine Sommerskisprunganlage runter gehüpft, sagt Baumann: „Das war meine einzige Berührung mit Matten.“
Engeren Kontakt zur Materie hatte Christian Schwaiger, Cheftrainer der Männer beim
DSV, einst zehn Jahre als Übungsleiter in England tätig – dem Mutterland des Matten-Skifahrens. Wie ein Fan hört Schwaiger sich nicht an. „Auf den Matten das Fundament legen und dann in den Weltcup gehen, das funktioniert so nicht“, erklärt er bei einem Treffen. Die Erfolgsgeschichte von Dave Ryding halte er nicht für repräsentativ. „Ryding ist der Einzige, der viel auf Matten trainiert hat und es geschafft hat.“ Alle anderen Insel-Exoten, die sich im Weltcup etablierten, etwa die Schotten Alain Baxter oder Finlay Mickel, seien früh aufs europäische Festland gezogen, um in den Alpen – auf echtem Schnee – in die Weltspitze vorzudringen. „Die hatten in Courchevel ihre Wohnungen.“
Schön, wenn man diese Möglichkeit hat. Nur: Was passiert, wenn es an immer weniger Wintersportorten möglich sein wird, zu beschneien? Ist die Zukunft des Skisports dann grün? Sind Bürsten der neue Schnee? Und: Will man die wirklich in seinen Bergen herumliegen haben?
Bedenken werden nicht nur von den Weltcup-Profis geäußert. Der Bund Naturschutz in Bayern etwa prognostizierte unlängst „ökologische Probleme“ durch das Nutzen von Kunststoffmatten auf Hängen. Es sei etwa zu vermuten, dass durch die Skikanten ein Abrieb entstehe, der als Mikroplastik in die Wiesen gelange. In Oberaudorf entgegnen sie, eine spezielle Filzunterlage samt Entwässerungssystem verhindere dieses Szenario. Diskutiert wird auch, ob man sich auf Plastikmatten schneller verletzt als auf Schnee – wenngleich hier generelle Vergleiche schwierig sein dürften. Es gibt solche und solche Schneeverhältnisse. Und die Alternativschnee-Angebote sind auch vielfältig.
Die meisten Produkte auf dem Markt eint, dass sie mit handelsüblichen Skiern befahren werden können. Dennoch gibt es Unterschiede. Skitrax aus Oberbayern etwa bietet eine der kleinteiligsten Varianten: Die Module sind 22×22 cm groß und werden mit kurzen Noppen wie ein Puzzle zu einer bürstenartigen Fläche zusammengesteckt . . . .„
„Dass man ohne Matten nicht auskommt, ist natürlich mehr als unromantisch – in einer Idealvorstellung bestünde Alternativschnee aus einer ökologisch astrein abbaubaren Substanz, die sich aus flockenartigen Teilen zusammensetzt, die möglichst die gleichen Eigenschaften bietet wie Schnee und günstig sowie klimaneutral herstellbar ist. Schnee aus Pflanzen vielleicht – so ähnlich wie beim pflanzlichen Ei, das Forscher unlängst präsentiert haben. Man kann es problemlos in die Pfanne hauen und dabei zusehen, wie das Eiweiß, das kein Eiweiß ist, um den gelben Dotter herum, der kein Eigelb ist, gerinnt. Nur gibt es so eine Art Eischnee eben nicht. Und es wird ihn wahrscheinlich auch nie geben.
Bei der Suche nach Schnee-Ersatz wird man wohl immer wieder bei einer zusammenhängenden, deutlich weniger flexiblen Substanz landen. Ausnahmen sind höchstens Skihügel aus Sand, etwa der „Monte Kaolino“ bei Hirschau in der Oberpfalz, ein 120 Meter hoher Hügel aus 33 Millionen Tonnen feinstem Quarzsand. Die Piste ist 200 Meter lang und mit einem Gefälle von 40 Grad, was dem Fortkommen dienlich ist, ziemlich steil. Dass es sich hierbei um das einzige Sandskigebiet in Europa handelt (und um das weltweit einzige mit stationärem Lift), lässt aber erahnen, dass sich Sandskifahren nicht flächendeckend durchsetzen wird.
Also doch wieder: bergeweise Matten? . . . . . "
„Die Oberaudorfer Bürstenpiste hat inzwischen eine Sonderfunktion: Zwischen den Steckmodulen lassen sich Kippstangen festschrauben.“
Quelle: Süddeutsche Zeitung, Wochenendausgabe 11.03.2023
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